4.

Beispielhaft lässt sich diese regionale Modernisierung an Ahrensburg sowie am Raum Reinbek/Glinde veranschaulichen. Zunächst zu Ahrensburg: Seit den 50er Jahren profitierte Ahrensburg – das 1949 zur Stadt ernannt wurde [8] – dank seiner direkten Nähe zu Hamburg und seiner verkehrsgünstigen Lage in besonderem Maß von der Industrie- und Bevölkerungssuburbanisierung. Dies veränderte, ja sprengte die bisherige Topographie des Ortes. Zum Symbol des Strukturwandels wurde das Ende der 60er Jahre praktisch aus dem Nichts heraus geschaffene, city-ähnliche Zentrum mit dem siebengeschossigen Rathausneubau. Nach Kriegsende hatte sich die Einwohnerzahl Ahrensburgs gegenüber dem letzten Vorkriegsstand verdoppelt. Wie fast überall im Hamburger Umland waren damit auch in Ahrensburg grundlegende Probleme des Wohnungsbaues verbunden. Immerhin hatte die Auflösung des Gutsbezirks 1928 weite Flächen für die Besiedlung und gewerbliche Entwicklung freigemacht; in der Folge waren bereits in den 30er Jahren bedeutende neue Wohnsiedlungen entstanden (Reesenbüttel, Waldgut Hagen und Am Hagen). [9] Nach dem Zweiten Weltkrieg stand man vor der Notwendigkeit, für die Flüchtlinge, Vertriebenen und Ausgebombten möglichst rasch neuen Wohnraum zu schaffen. Bereits dies veränderte die Topographie von Ahrensburg maßgeblich. Während zuvor vor allem Einzelbebauung üblich war, wurden nun die ersten Wohnblocks in Geschossbauweise errichtet – ein neues Element im Ortsbild. Die ersten zweigeschossigen Wohnblocks entstanden um 1950 an der Immanuel-Kant-Straße, gefolgt von zwei- bis dreigeschossiger Blockbebauung auf der sich westlich anschließenden Fläche. Ende der 50er Jahre wurden am Bahnhof und an der neu angelegten Stormarnstraße weitere mehrgeschossige Wohnblocks sowie das erste Hochhaus errichtet. [10]

Ebenso wie in anderen Stormarner Städten reagierte auch in Ahrensburg die Stadtverwaltung auf die Empfehlungen des Gemeinsamen Landesplanungsrates Hamburg/Schleswig-Holstein. Anfang 1961 wurde das gesamte Stadtgebiet unter Hinweis auf die überregionale Planung zum Aufbaugebiet erklärt. [11] Der entsprechende Aufbauplan wurde später in einen – vom zuständigen Kieler Ministerium am 20. Juni 1961 genehmigten – Flächennutzungsplan gemäß Bundesbaugesetz überführt. [12] Mitte 1962 setzten die Ahrensburger Stadtverordneten einen Planungsausschuss mit den Arbeitsschwerpunkten Stadt- und Verkehrsplanung ein. [13] Nun sollte das Erscheinungsbild der Stadt auch insgesamt modernisiert werden. Als äußeres Zeichen der Modernität entstand der Rathausplatz, der einen Rathaus-Neubau sowie mehrgeschossige Wohn- und Geschäftsbauten an den Rändern umfaßte. In der zweiten Hälfte der 60er Jahre begonnen, wurde der Rathausplatz gezielt als neues, urbanes Zentrum neben dem alten, auf die Zeiten des Adligen Gutes zurückgehenden und um jenes „Rondeel“ gelegenen Ortskern geschaffen, an dem alle wichtigen Straßen zusammenliefen. [14] Ein weiteres Element, das die Topographie von Ahrensburg seit den 1960er Jahren maßgeblich veränderte, war die sogenannte Ostumgehung. Eine Untersuchung der Verkehrsverhältnisse im Raum Ahrensburg, deren Ergebnisse im April 1964 der Stadtverordnetenversammlung vorgelegt wurden, sah ein –in dieser Form allerdings nie verwirklichtes – Tangentialsystem vor, um die Innenstadt zu entlasten. Die Ostumgehung bildete ein Element dieses Systems. Im Kreisentwicklungsplan 1980 – 1984 wurde festgehalten, Ahrensburg als Mittelzentrum einzustufen – was grundsätzlich den finanziellen Vorteil höherer „Zentralitätsmittel“ mit sich brachte.

Aus Ahrensburg stammt auch eines der spektakulärsten und umstrittensten Stormarner Straßenbauprojekte des späten 20. Jahrhunderts: eine Hochbrücke in der Innenstadt zur Querung der Bahngleise. Diese Hochbrücke galt den vielen Kritikern jedoch als städtebauliches „Monster“, welches das historische Stadtbild Ahrensburgs entscheidend beeinträchtigen würde. Heftige Bürgerproteste führten dazu, dass das 1975 eingeleitete Planfeststellungsverfahren für die Hochbrücke schließlich gestoppt und 1978 von der Ahrensburger Stadtverordnetenversammlung eine dann 1990 fertiggestellte, stadtbildverträglichere Untertunnelung beschlossen wurde.

Im Raum Reinbek/Glinde wirkte ein 1960 angelegtes, gemeindeübergreifendes Gewerbegebiet, das in der Folge stetig erweitert wurde, katalysatorisch. Dieses Gewerbegebiet, das auf kommunalen Flächen von Reinbek, Glinde und Schönningstedt lag, zog in den 1960er Jahren viele Betriebe an und bot neue Arbeitsplätze, was wiederum den Wohnsiedlungsbau herausforderte. Reinbeks Bevölkerungszahl stieg zwischen 1961 und 1970 von knapp 11.000 auf über 15.000. Architektonisches Zeugnis der raschen Verstädterung Reinbeks war ein 20-geschossiges Hochhaus, das 1965 als höchstes Wohnhaus in Schleswig-Holstein galt. Dem systematisch betriebenen Ausbau Reinbeks als Wohn- und Gewerbestadt folgten verbesserte Verkehrsanbindungen nach Hamburg: Elektrifizierung der Bahnstrecke und Einbindung in den Hamburger Verkehrsverbund sowie eine Anschlussstelle an der Autobahn A 24 Hamburg-Berlin.

Noch rasanter verlief die Verstädterung in Glinde, das sich vom kleinen ländlichen Gutsdorf zu einer Industrie- und Arbeiterwohngemeinde wandelte. Die Einrichtung des genannten Gewerbegebiets ergab auch hier einen erheblichen Bevölkerungsschub und umfangreichen Siedlungsbau. Bis 1968 vervierfachte sich die Einwohnerzahl gegenüber dem letzten Vorkriegsstand (1939) und erreichte fast 9.000. In den 1960er Jahren wurde dank stark gestiegener kommunaler Gewerbesteuer mit der Errichtung eines neuen, am Reißbrett geplanten „modernen“ Ortszentrums mit mehrstöckigen Büro- und Geschäftshäusern begonnen. Die alte Durchgangsstraße musste zu diesem Zweck innerhalb des Ortszentrums verlegt werden. Zuvor hatte ein großer Gutsbetrieb Glindes Ortsmitte geprägt, der in diesem Kontext vollständig abgerissen wurde.

All diese Entwicklungen veränderten den Charakter des zuvor meist ländlichen Raumes um Hamburg. Das Dorf verlor seine bisherige wirtschaftliche und gesellschaftliche Rolle, die bisher von ländlich-agrarisch-kleingewerblichen Zusammenhängen bestimmt worden war. Immer mehr übernahm das Dorf die partikulare Funktion des Wohnens – und zerfiel dabei in einzelne Teilsiedlungen (bevor die kommunalen Gebietsreformen der 1970er Jahre vielen Gemeinden auch ihre politische Selbständigkeit nahmen). [15]

Damit ist auch die Geschichte der Beziehungen zwischen Stadt und Land in ein neues historisches Stadium getreten. [16] Die Industrie- und Bevölkerungssuburbanisierung kehrte die einstige „Landflucht“ um in eine „Stadtflucht“. Hatte über Jahrhunderte hinweg zuvor die städtische Urbanität an der Spitze der räumlichen Prestigeskala gestanden, so wurde diese Rangordnung nun aufgelöst zugunsten einer gleichmäßiger verteilten, raumfunktionalen Spezialisierung. [17]

Im frühen 21. Jahrhundert zählen die Hamburg-Umlandkreise im Allgemeinen wie der Kreis Stormarn im Besonderen zu den Regionen mit dem höchsten Kaufkraftindex in Deutschland. Innerhalb der Metropolregion Hamburg verzeichnete Stormarn im Jahr 2008 mit 122,8 (Deutschland-Durchschnitt = 100) den höchsten Kaufkraftindex – während die Hansestadt Hamburg hinter Pinneberg und dem Landkreis Harburg mit 111,5 erst auf dem vierten Platz landete. [18]

Zugleich kam es im Hamburger Umland zur Historisierung architektonischer Ensembles; Denkmalschutz und Dorferneuerung spielten eine immer größere Rolle – sie bildeten gerade in Stormarn ein Pendant zur gewerblichen, verkehrs- und bevölkerungsmäßigen Verdichtung. In ähnlich kompensatorischer Funktion wie Dorferneuerung und Denkmalschutz zeigt sich die seit dem späten 20. Jahrhundert deutlich gestiegene Sensibiliät gegenüber Fragen des Natur-, Landschafts- und Umweltschutzes. Fluss- und Teichlandschaften wurden renaturiert, neue Naturschutzgebiete ausgewiesen. Neben den 17 Stormarner Naturschutzgebieten zählen insbesondere Naturdenkmale (Bäume [Solitäre], Alleen, Findlinge und ähnliches) und Biotope zu diesen das Erscheinungsbild des Kreises prägenden Merkmalen.



Quellen

[8] Dazu die Jubiläumsschrift Ahrensburg – 50 Jahre Stadrecht 18. Januar 1949 – 18. Januar 1999. Deutsch-Evern o. J. [1999].

[9] Ebd., S. 14.

[10] Klaus Thieme: Siedlungs- und wirtschaftsgeographischer Gestaltwandel von Ahrensburg. Schriftliche Hausarbeit zur Wissenschaftlichen Prüfung für das Lehramt an Gymnasien. Ahrensburg 1965, S. 86 – 87.

[11] Protokoll der Stadtverordnetenversammlung vom 24. Januar 1961. In: Stadtarchiv Ahrensburg, Verwaltungsarchiv, Protokolle der Stadtverordnetenversammlungen 1961 – 1962, S. 6 – 7.

[12] Protokoll der Stadtverordnetenversammlung vom 26. Oktober 1961. In: Ebd., S. 141.

[13] Protokoll der Stadtverordnetenversammlung vom 4. Juli 1962. In: Ebd., S. 237.

[14] Protokoll der internen Zusammenkunft der Stadtverordneten am 11. Februar 1965. In: Stadtarchiv Ahrensburg, Verwaltungsarchiv, Protokolle der Stadtverordnetenversammlungen 1965, S. 1.

[15] Ein besonders charakteristisches Beispiel für diese Entwicklung bildet Hoisdorf; siehe Norbert Fischer/Klaus Gille: Hoisdorf und Oetjendorf. Stormarner Dorfgeschichte im Hamburger Umland. Hoisdorf 2001, S. 76 – 104.

[16] Zur Geschichte des Stadt-Land-Verhältnisses siehe Clemens Zimmermann (Hrsg.): Dorf und Stadt. Ihre Beziehungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Frankfurt/M. 2001.

[17] Sieverts: Zwischenstadt (wie Anm. 2) S. 30 – 31, S. 38 – 39.

[18] Magazin der Metropolregion Hamburg 9/1 (2008), S. 29.