"Regionale Identität" im Hamburger Umland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts - Eine Problemskizze
Von Prof. Dr. Norbert Fischer (Universität Hamburg)

1. "Region" und "Identität" als Forschungsproblem

1. "Region" und "Identität" als Forschungsproblem Die Vorstellung, dass Räume und Regionen "die Erinnerung festigen und beglaubigen, indem sie sie lokal im Boden verankern" - wie Aleida Assmann einmal schrieb - ist ebenso verbreitet wie die Ansicht, dass damit zur Stiftung von Identität beigetragen wird. Die bereits etliche Jahre währende wissenschaftliche Konjunktur des Begriffspaares "regionale Identität" hat das Ihre dazu geleistet. Nur bedingt genutzt hat diese Konjunktur der begrifflichen Präzisierung. Noch neuere Forschungsberichte und Monografien zeigen, dass nach wie vor kein Konsens herrscht, was unter "regionaler Identität" zu verstehen ist.

Der alleinige Begriff "Region" wird in der Forschung zumeist relational verstanden, das heißt es hängt jeweils von Erkenntnisinteressen, Gegenstandszuschnitt und Methodik ab, wie er definiert wird. In Frage kommen unter anderem politisch-administrative Abgrenzungen (z. B. Ämter, Landkreise), konfessionelle Einheiten (Diözesen), historische (ehemalige Herzogtümer Bremen und Verden), naturräumliche (Lüneburger Heide), sozialökonomische (Ruhrgebiet) oder auch planungstechnische Territorien (Metropolregion Hamburg). Damit wird bereits deutlich, dass die räumliche Ausdehnung nicht festgelegt ist. Gleichwohl herrscht in der historischen Forschung Konsens darüber, dass es sich um räumliche Einheiten unterhalb der nationalen Ebene handelt (während beispielsweise in der Politologie und den Wirtschaftswissenschaften auch supranationale Räume als "Regionen" definiert werden). Jenseits der vielfältigen, sich ergänzenden oder konkurrierenden Ansätze und Konzepte gibt es bislang keine anerkannte "Theorie der Regionalität". Als kleinsten gemeinsamen Nenner definiert Carl-Hans Hauptmeyer pragmatisch: "Eine Region ist eine sich wandelnde sozialräumliche Einheit, die modellhaft ähnliches Handeln und Wirken einer menschlichen Gesellschaft abbildet".

Unbestritten ist, dass Regionen eine besondere Funktion für die Bildung von Identität - also von einem "Wir-Gefühl" im Sinne der Selbst- oder Fremdzuschreibung - haben können. ßender, Pfau und Schmidt definieren in ihrer Siegerland-Studie den Zusammenhang von Region und Identität wie folgt: "Die Region ist im Kontext einer modernen Regionalgeschichte ... als Handlungs-, Wahrnehmungs- und Bewußtseinsraum konkreter Menschen in ihrer Zeit zu verstehen. ... Regionen stellen somit ein Raumkonzept dar, das ... der Ausbildung personaler und sozialer Identität dient." Hier werden also die Begriffe "Identität" und "Region" kausal miteinander verknüpft. "Identität" zeigt sich als notwendige Teilmenge von "Region" - nach innen wie auch nach außen gewendet (in letzterem Fall in Abgrenzung zu einem wie auch immer definierten, jedenfalls als fremd empfundenen "Anderen"). Wie die erwähnte Siegerland-Studie setzen auch viele andere Forschungen "regionale Identität" schlichtweg voraus oder definieren ihre Erkenntnis als erstrebenswertes Forschungsziel.

Indes ist Vorsicht geboten, ein Begriffspaar wie "regionale Identität", das emotional, symbolisch und politisch stark aufgeladen ist, ohne Weiteres für die regionalgeschichtliche Forschung zu operationalisieren. Schließlich impliziert es die Vorstellung eines harmonischen Ganzen und einer gleichsam gewachsenen Kontinuität, die - bleibt sie unreflektiert - unversehens von einer Prämisse zum Ziel der Erkenntnis geraten kann. Ein Blick in die Begriffsgeschichte zeigt, dass die Anfänge der Vorstellung kollektiver, räumlich gebundener Identität einer spezifischen historischen Epoche entstammen: der Zeit um und nach 1900, also der Epoche von Hochindustrialisierung und Urbanisierung. Es waren bekanntlich Jahrzehnte der besonders rapiden Umwandlung von Alltag und Lebenswelten. Wie Lutz Niethammer in seiner begriffsgeschichtlichen Studie belegt, spielte die kompensatorische Sehnsucht nach Kontinuität und kollektiver Identität in den Entwürfen der Kultur- und Modernitätskritik des frühen 20. Jahrhunderts eine grundlegende Rolle. Der Mensch sollte mit einer sich rasch wandelnden und ihm scheinbar entfremdeten Umwelt wieder versöhnt werden. Nicht zufällig entfalteten sich damals verwandte gesellschaftliche Phänomene wie Heimatbewegung, nicht zufällig ist der "Heimat"-Begriff mit dem der "regionalen Identität" eng verflochten.

Solche begriffsgeschichtlichen Traditionen haben nachgewirkt. Auch der seit den 1970er-Jahren anhaltende Aufstieg der Regionalgeschichte selbst gehört in diesen Kontext - begann er doch in einer Zeit der Fortschritts- und Modernisierungskrise, die das Ende eines anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwunges in der damaligen Bundesrepublik markierte. Und noch heute schwingt immer wieder die romantische Sehnsucht nach einer harmonischen Versöhnung von "Mensch" und "Raum" mit, wenn über Regionalgeschichte und regionale Identität geforscht wird.

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