Die modellierte Region: Stormarn seit dem Zweiten Weltkrieg
Von Norbert Fischer (Universität Hamburg)

2. Der amputierte Kreis: Stormarn nach dem Zweiten Weltkrieg

Wie sah es in Stormarn nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus? Ausschlaggebend waren zunächst die Auswirkungen des sogenannten Groß-Hamburg-Gesetzes von 1937. Stormarn hatte dadurch die Hälfte seiner Bevölkerung und Steuerkraft verloren. "Das ausgewogene Gefüge und die Wirtschaft des Kreises wurden durch diese Maßnahme empfindlich gestört", urteilte rückblickend der spätere langjährige Stormarner Landrat Wennemar Haarmann. Das Stormarn der Nachkriegszeit war auf den Status einer Agrarregion zurückgeworfen worden - das jedenfalls zeigt ein Blick auf die wirtschaftliche Struktur der einzelnen Kommunen auf Basis der vor Ort Erwerbstätigen. Die zunächst einzigen Städte Bad Oldesloe und das noch kleinere Reinfeld vermochten kaum über den engeren Raum hinaus auszustrahlen.

Unfreiwillig führte dann die besondere Situation der Kriegs- und Nachkriegsjahre zu einer raschen Kompensation des ursprünglichen Bevölkerungsverlustes. Die Jahre um 1945 brachte einen regelrechten Zustrom von Ausgebombten und Evakuierten aus Hamburg (den "Butenhamborgern") sowie Flüchtlingen und Vertriebenen aus dem Osten. Vor allem der hamburgnahe Raum sah sich mit dieser Entwicklung konfrontiert. Beispielsweise vermeldete das bereits gut dokumentierte Hoisdorf, das nahe an der sogenannten Hamburger Walddörferbahn liegt (heute U-Bahn-Linie 1), zwischen 1939 und 1950 einen Bevölkerungsanstieg von 189%. Auch das rasante Wachstum und die Verstädterung der hamburgnahen Orte Ahrensburg (Stadtrecht 1949) und Reinbek (1952) ist nicht zuletzt auf diese besondere Situation zurückzuführen. Zwar waren die meisten Neubürger der Nachkriegszeit eher zufällig im Kreis Stormarn gelandet, jedoch blieben viele von ihnen auf Dauer. So verzeichneten Gemeinden wie Großensee, Lütjensee und Trittau noch im Jahr 1958 einen Bevölkerungszuwachs von über 100% im Vergleich zu 1939.

Die Probleme waren damit vorgegeben: Seit dem Groß-Hamburg-Gesetz wirtschaftlich und flächenmäßig "amputiert", fehlte es in Stormarn vor allem an Wohnraum und an Arbeitsplätzen für die Neubürger. Nennenswerte Industrie war kaum vorhanden, 1955 wiesen nur Ahrensburg und Glinde Industriebetriebe mit mehr als 500 Beschäftigte auf. Die Zahl der industriell Beschäftigten in Stormarn blieb in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre deutlich hinter jener von anderen schleswig-holsteinischen Kreisen im Hamburger Umland zurück, wie Pinneberg und Herzogtum Lauenburg. Die regionale Landwirtschaft allein konnte jedenfalls die zahlreichen Arbeitskräfte nicht absorbieren.

So verwundert es nicht, wenn die Auspendlerzahl in die Höhe schnellte, vor allem im hamburgnahen südstormarnschen Raum. In Hoisdorf mit seiner relativen günstigen Verkehrsanbindung betrug der Anteil der Auspendler an den Erwerbstätigen im Jahr 1950 46,3% und stieg bis 1961 noch auf 66,8%, also auf über zwei Drittel der Erwerbstätigen (andere Berechnungen kommen sogar auf 75,5%). Allerdings kam die Steuerkraft dieser Pendler aufgrund der damaligen Steuerverteilung nicht dem Wohnsitz zugute. Somit drohte Stormarn zu einer Region der "Schlafgemeinden" zu werden, die sich gleichwohl den finanziellen Kosten für eine moderne Infrastruktur gegenübersah: Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum und Schulraum, Wasserversorgung und Abwässerbeseitigung, Straßenbau, soziale und kulturelle Einrichtungen. Hinzu kam, daß Stormarn mit seinen Naherholungsgebieten wie der "Stormarner Schweiz" eine immer bedeutendere Freizeitfunktion für Hamburg erfüllte - aber Wander- und Radwege, Park- und Zeltplätze verlangten kostenträchtige Pflegemaßnahmen.

In einer Denkschrift, die der Kreis Stormarn im Jahr 1958 zusammen mit den drei anderen schleswig-holsteinischen Hamburg-Randkreisen Herzogtum Lauenburg, Pinneberg und Segeberg herausbrachte, wurden diese Probleme deutlich angesprochen. Wörtlich hieß es: Die "... gemeindlichen Aufgaben, die aus der vermehrten Bebauung erwachsen, wie der Bau von Schulen, die Errichtung von Kindergärten, ferner die Anlage von Kanalisations- und von Wasserleitungen mit den dazugehörigen Werken werden zu immer größeren Belastungen, die schon jetzt die Kräfte der Gemeinde übersteigen und, je weiter man ihre Erfüllung hinausschiebt, umso bedrohlicher werden." Und weiter: "Die Gemeinden liegen schon jetzt in der Erfüllung ihrer Aufgabe, die ihnen aus dem Bevölkerungsanstieg erwachsen, wie Schulbau, Kanalisation, Wasserversorgung, Ausbau der Straßen- und Verkehrseinrichtungen usw., weit zurück, obwohl sie eine z. T. sehr beträchtliche Verschuldung auf sich genommen haben."

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