Mikrolandschaft und Metropolregion: Über den räumlichen Wandel im Hamburger Umland 1950-2000
Von Prof. Dr. Norbert Fischer (Universität Hamburg, 2007)

5. Schluss

Diese planerisch determinierten Neuformierungen des Raumes rufen immer wieder Fragen, Skepsis und Kritik hervor. Der skizzierte räumliche Wandel wurde beispielsweise als "Verschleifungsstrategie" zu Lasten alter, identitätsstiftender Lebenswelten kritisiert. Nach wie vor gibt es - auch unter Experten (Architekten, Stadt- und Raumplanern) - eine verbreitet geringe Akzeptanz der neuen "Zwischen-Terrains", weil sie nicht den klassischen Wahrnehmungsschemata entsprechen: "Die diffusen Räume unserer Ballungsgebiete sind für die meisten Menschen zeichenlos. Dem ungestalteten Raum wurden keine expliziten Zeichen für seine Lesbarkeit gegeben, und die Nutzung dieser räume ist auf den ersten Blick so bezugslos zu dem Ort, an dem sie stattfindet (Pendlertum, Schlafstädte, Baumärkte), dass auch von dieser Seite keine den Ort unverwechselbar kennzeichnenden Zeichen entsstehen. Wenn überhaupt Zeichen gesehen werden, dann sind sie also austauschbar - das heißt, der Ort bleibt anonym ...".

In der Tat wurde die alte Vorstellung geschlossener räumlicher Einheiten, denen eine identitätsstiftende Wirkung zugeschrieben wurde, aufgelöst zugunsten eines räumlichen Patchworks, das ein pluralistisches Angebot von Nutzungs- und Wahrnehmungschancen offeriert. Damit ändert sich die Wahrnehmung der Räume, insbesondere des lokalen Raumes: "Das Lokale ist nunmehr in seiner Beziehung zu globalen, grenzüberschreitenden Handlungsräumen neu zu bestimmen. Mit der politischen und ökonomischen Veränderung geht die Entstehung neuer Raummuster einher, die nicht mehr territorialen Raum, aber auch nicht nur verflüssigten und homogenen Raum meinen, sondern je nach funktionalem Zusammenhang ausdifferenziert sind. ... Lokale Bezüge lösen sich nicht völlig auf, sie werden nur mit bislang unbekannten Kontexten verwoben." Die klasssichen Muster von räumlich gebundener Identität greifen hier nicht mehr, da sie eine emotionale, langwährende Beziehung zu Orten, Räumen und Landschaften voraussetzen. Das übergreifende Konzept der Metropolregion Hamburg ist für diese Entwicklungen ein herausragendes Beispie. Die funktionale Neugliederung des Raumes, wie sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vollzogen wurde, schuf die Plattform für neuartige, partikularisierte Lebenswelten, die im Alltag der mobilen Gesellschaft immer wieder neu miteinander kombiniert werden.

Diese neuen Mikrolandschaften schöpfen einerseits noch aus dem nach wie vor virulenten Reservoir klassischer Landschaftswahrnehmung, indem sie gleichsam musealisierte Landschafts- oder Denkmalinseln bilden und sich damit "appellationsfähig" machen. Denn neben den City-Centern und Shopping Malls, den Verkehrsachsen und Riesenparkplätzen entstehen in gleichsam miniaturisierter Form Naturschutzgebiete und denkmalgeschützte Ensembles, werden historische Teichlandschaften wiederhergestellt und Ortskerne in Anlehnung an jahrhundertealte ländliche Architekturformen gestaltet. Andererseits werden diese inselhaften Mikrolandschaften miteinander verknüpft und entfalten dabei eine ganz eigene landschaftliche Ästhetik. Insofern ist nicht das "Anästhetische" das eigentliche Problem der Wahrnehmung, sondern die Notwendigkeit eines Pespektivwechsels, um dieser neuartigen landschaftlichen Synthese gerecht zu werden.

Noch immer gilt, was der Architekt und Stadtplaner Robert Kaltenbrunner Ende des 20. Jahrhunderts in der "Frankfurter Rundschau" schrieb: "Aber man wird lernen müssen, mit den Gegebenheiten unserer postindustriellen Stadtrandverhältnisse umzugehen. Überlagerungen von Raumschichten mal dezidiert großstädtischer, mal ländlicher Prägung, mit ihren so charakteristischen Einsprengseln nahezu jedweder Nutzungsart und baulichen Formn - so offenbaren sich unsere periurbanen Räume. Doch gerade in dieser Beschaffenheit liegt ein neues Spezifikum: Bebaute und nichtbebaute Flächen verschmelzen zu einem topographischen Ganzen, worin sich die natürlichen und künstlichen Faktoren vermischen."

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