Mikrolandschaft und Metropolregion: Über den räumlichen Wandel im Hamburger Umland 1950-2000
Von Prof. Dr. Norbert Fischer (Universität Hamburg, 2007)

2. Mikrolandschaften in Stormarn

Stormarn eignet sich für eine Veranschaulichung der sich auflösenden Gegensätz zwischen Stadt und Land insofern besonders gut, als dieser schleswig-holsteinische Kreis flächenmäßig relativ klein ist und somit die Folgen räumlicher Wandlungsprozesse auf engstem Raum zeigt. Völlig unterschiedliche, austauschbar gestaltete Mikrolandschaften repräsentieren die Dynamik räumlichen Wandels: Von musealisierten Objekten einstiger agrarischer Lebenswelten über Naturdenkmäler und Naturschutzgebiete über konfektionierte Gewerbegebiete bis hin zu den genormt-gestylten P&R-Parkplätzen an den Verkehrsknotenpunkten.

Die Anfänge dieser Entwicklungen gehen zurück auf den Strukturwandel nach dem Zweiten Weltkrieg. In diesem Kontext kam es im Hamburger Umland zu grundlegenden Veränderungen. Das Hamburger Umland umfaßt in der hier zugrundegelegten Definition die vier direkt an die Großstadt grenzenden schleswig-holsteinischen Kreise Pinneberg, Segeberg, Stormarn und Herzogtum Lauenburg sowie die beiden niedersächsischen Kreise Harburg und Stade (der erweiterte Raum der Metropolregion Hamburg, zu dem die genannten Kreise heute gehören, wird später erläutert). Drei katalysatorische Faktoren bestimmten die in den 1950er-Jahren einsetzende regionale Modernisierung: 1. die Standortverlagerungen von Gewerbe und Industrie von Hamburg ins Umland, 2. das Bevölkerungswachstum im Umland, 3. die länderübergreifende Regionalplanung. Aus einer weitgehend ländlich-kleingewerblich geprägten Region wurde in diesem Kontext in den Jahrzehnten nach 1950 eine gewerblich-industrielle Wachstumszone. In Stormarn beispielsweise erhielten Ahrensburg (1949) und Reinbek (1952) frühzeitig nach dem Zweiten Weltkrieg Stadtrecht, später folgten Bargteheide (1970) und Glinde (1979). Zu Beginn des 21. Jahrhunderts zählt Stormarn zu den zehn Landkreisen in Deutschland mit der höchsten Kaufkraft.

Verkehrstechnisch war der Kreis Stormarn begünstigt durch die bereits vor dem Zweiten Weltkrieg fertiggestellte Autobahn A 1 zwischen Hamburg und Lübeck. Im Herbst 1982 erfolgte die Freigabe der A 24 Richtung Berlin und verbesserte die Anbindung des südstormarnschen Raumes um Reinbek/Glinde. Die den Kreis in Nord-Süd-Richtung durchziehende, 1958 eingeweihte B 404 wurde Ende der 1990er-Jahre teilweise zur Autobahn A 21 ausgebaut. Den Norden Stormarns berührt der Neubau der A 20 mit dem Autobahnkreuz bei Hamberge. Schienenmäßig zählt die parallel zur A 1 verlaufende Bahnstrecke Hamburg-Lübeck zu den Stormarner Hauptverkehrsachsen, eine Nebenstrecke führt von Bad Oldesloe über Bad Segeberg Richtung Neumünster/Kiel. Im Öffentlichen Personennahverkehr berühren der S-Bahnhof Reinbek sowie die frühere Walddörferbahn (heute U 1) mit ihren Bahnhöfen in Ahrensburg und Großhansdorf den Kreis Stormarn. Im Jahr 2002 wurde Stormarn, wie auch die anderen schleswig-holsteinischen Umlandkreise, vollständig in das Nahverkehrssystem des Hamburger Verkehrsverbundes (HVV) einbezogen.

An den Knotenpunkten des Verkehrs, wo die Bewegung im Raum verankert ist, zeigen sich die neuen Mikrolandschaften besonders deutlich. Mit viel Aufwand wurden in Stormarn - wie auch in benachbarten Kreisen - Park & Ride (P & R-) -Parkplätze an den Bahnhöfen hergerichtet. Ihr Erscheinungsbild ähnelt sich, sie sind zum Sinnbild einer mobilen Gesellschaft geworden. Im Regionalen Entwicklungskonzept (REK) 2000 der Metropolregion Hamburg fanden sie besondere Erwähnung, indem Verknüpfungspunkte von Bahn und Bus als besonders geeignete Standorte für P + R-Anlagen bezeichnet wurden: "Sie sind in funktional und gestalterisch abgestimmte Gesamtkonzepte einzubeziehen." So wurden diese P & R-Plätze mit viel finanziellem Aufwand durch die überregionalen Förderfonds unterstützt, denn sie verkörpern in besonderer Weise die neuen Beziehungen innerhalb der Metropolregion. Gab es bei den Berufspendlern in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg einen eindeutigen Trend der Auspendelung Richtung Hamburg, so gibt es nunmehr eine große Zahl von Einpendlern. Im Jahr 1999 standen in Stormarn 75 1995 Auspendlern auch 63 504 Einpendlern entgegen.

Die "Modernisierungs"-Phase im engeren Sinn war in Stormarn mit den 1970er-Jahren abgeschlossen. Verkehrs-, Umwelt- bzw. Naturschutz-, Wirtschafts- und Kulturpolitik sind seitdem neue Wege gegangen. Diese Neuansätze resultierten nicht zuletzt aus den Erfahrungen aus dem Strukturwandel mit dem Leitbild einer selbsterklärten "Modernität" der 1960er-Jahre hin. Was folgte, war ein reflektierter Umgang mit den natürlichen und räumlichen Ressourcen. So erhielten Umwelt- und Naturschutz einen erheblich größeren Stellenwert. Die Landschaften zwischen Stadt und Land unterlagen neuen Leitbildern: Straßen wurden "zurückgebaut", Gassen mit historischem Pflaster versehen, alte Bauernhäuser wieder mit Reet gedeckt, Dorfbrunnen restauriert. Ein nicht ganz zufälliges Datum bildet die Eröffnung des Stormarner Dorfmuseums in Hoisdorf 1978, das die alten ländlichen Lebenswelten zur Schau gestellt. Die öffentlich geförderte Dorferneuerung hat diese Tendenzen zur Konservierung ländlicher Bauformen unterstützt. In einer Sitzungsvorlage für einen Fachausschuss des Stormarner Kreistages hieß es in diesem Zusammenhang "Einen wichtigen Beitrag zur Durchführung baulicher und infrastruktureller Maßnahmen in den ländlich geprägten nicht zentralen Orten, in denen es erhaltenswerte Bausubstanz gibt und deren Erscheinungsbild gepflegt und bewahrt werden soll, leistet die Dorferneuerung. Sie trägt u.a. dazu bei, ländliche Siedlungen als Standort land- und forstwirtschaftlicher Betriebe zu erhalten, die dörflichen Verkehrs-, Gewässer- und Grünverhältnisse auch unter ökologisch und gestalterischen Aspekten zu verbessern sowie die Identität durch ortsbildprägende Erhaltungs- und Gestaltungsmaßnahmen zu prägen." Zwischen 1983 und 2001 wurde in 14 Stormarner Gemeinden ein Dorferneuerungsplan durchgeführt.

Blicken wir auf den Naturschutz: Neben den 15, vor allem nach 1980 ausgewiesenen und zum Teil kleindimensionierten Naturschutzgebieten zählen insbesondere zählen Naturdenkmale (Bäume [Solitäre], Alleen, Findlinge und ähnliches) und Biotope zu den neuartigen Mikrolandschaften. Von ersteren verzeichnete der Umweltplan Stormarn von 1985 32 Objekte, von letzteren 493 Biotope: Quellgebiete, Tümpel, Heiden, Seggenrieder, Magerrasen und ähnliches.

Die Konfektionierung der Mikrolandschaften zeigt sich auch bei den Naherholungsflächen: Wander-, Rad- und Reitwegen und deren Beschilderung, um die Anlage von Park- und Rastplätzen, Zäunen, Brücken und Spielplätzen, Aufstellung von Ruhebänken. Die Landschaft wurde regelrecht "möbliert" und mit einem systematischen Netz von Wanderwegen überzogen. In der äußeren Form ähnelten sich die meisten der durchgeführten Maßnahmen. Die "Möblierung" der Naherholungszonen folgte immer demselben Muster. Damit waren die verschiedenen Wald-, Seen-, Park- oder Moorlandschaften des Hamburger Umlandes für jeden Besucher bald gleichmäßig vertraut. Zuständig für diese Entwicklung war im wesentlichen der 1972 gegründete Verein "Naherholung Umland Hamburg", der öffentliche Gelder verwaltete und lenkte.

Im Rahmen der räumlichen Differenzierung erhielten also Natur, Landschaft und Architektur eine neue Rolle zugewiesen. Als natur- bzw. denkmalgeschützte Mikrolandschaften wurden sie zum kompensatorischen Äquivalent innerhalb eines sich gewerblich und bevölkerungsmäßig verdichtenden Raumes. Natur und Landschaft wurden ebenso zum konfektionierten Element einer neuen, modernen Topographie wie Wohnblocks, Gewerbeflächen und Verkehrsachsen. Damit vervollständigte sich das Patchwork der Mikrolandschaften. Nicht selten in direkter Nachbarschaft zu Gewerbegebieten und Verkehrsknoten entstanden inselhaft musealisierte Ensembles von Architektur und Natur.

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