IV. Patchwork-Zeremonien und neue soziale Gruppierungen

Der neue Umgang mit dem Tod führt zum „Bestattungsritual im Übergang“ [7], das die Partikularisierung der Bestattungs-, Trauer- und Erinnerungskultur eingeläutet hat. Entstanden sind Patchwork-Zeremonien, in denen selbstbestimmte Elemente einen höheren Stellenwert gewinnen und neben traditionelle Elemente treten. Der eigene Aktionsspielraum der Trauernden erhöht sich, beispielsweise gegenüber festen liturgischen Elementen. [8] Die wahlweise und vielfältige Anordnung von Versatzstücken neuer und alter Zeremonien zeugt von hohem Kombinationspotenzial. Dies kann ein persönlich gestaltetes und angelegtes Totenkleid ebenso umfassen wie die Bemalung des Sarges, eigene Reden und eigene musikalische Darbietungen. Damit sind die Patchwork-Rituale nicht zuletzt Zeichen des Übergangs: „Sie manifestieren den Übergang von dem prekär gewordenen religiösen Bestattungsritual hin zu einem neuen Ritual; ein Übergang, der geprägt ist von Suchbewegungen und Experimenten ... Doch jede einzelne Bestattung mit nicht-delegierten Elementen, so gering und verborgen diese auch sein mögen, ist immer auch Teil dieser gegenwärtig stattfindenden, kollektiv-gesellschaftlichen Arbeit am Bestattungsritual.“ [9]

Zugleich wird damit deutlich, dass die Traditionen des bürgerlichen Zeitalters an normativer Kraft verlieren, ohne dass sie vollständig aufgegeben werden. Diese Traditionen waren verknüpft mit langwährenden, identitätsstiftenden sozialen Strukturen, wie Familie, Konfession, soziale Gruppe beziehungsweise Schicht. Je nach historischer Epoche waren auch weitere gesellschaftliche Kollektive eingebunden: Nachbarschaften, Bruderschaften, Handwerkerzünfte, Genossenschaften, Arbeitervereine und Gewerkschaften. Aber diese gesellschaftlichen Strukturen haben in den vergangenen Jahrhunderten nach und nach ihre Bedeutung für die Bestattungskultur verloren. Begleiterscheinung dieses Prozesses ist die wachsende Entkirchlichung. Vor allem im städtischen Raum wurden kirchliche Zeremonien zunehmend reduziert, ersetzt oder gänzlich aufgegeben. Immer mehr Trauerfeiern werden von weltlichen beziehungsweise freien Trauerrednern begleitet. Gesellschaftliche Re-Spiritualisierungstendenzen sind häufig im esoterischen Bereich angesiedelt.

Statt institutionalisierter Bindungen sind es heute eher offene, teils temporäre gesellschaftliche Formationen, die sich auf die Zeremonien und Orte der Bestattungskultur auswirken. Dies zeigt der Trend zu neuen Gemeinschaftsgrabanlagen. Ein bekanntes Beispiel für eine Gemeinschaftsanlage ist der „Garten der Frauen“ auf dem Hamburg-Ohlsdorfer Friedhof. Er wurde 2001 eingerichtet und zeigt sich einerseits als Ort der Erinnerung an bedeutende Hamburgerinnen, deren historische Grabmäler hier – versehen mit Erläuterungstafeln – museal aufgestellt wurden. Auf der anderen Seite dient die Anlage in der Tradition der Genossenschaftsgrabanlagen zugleich Bestattungen, deren Ort mit gemeinschaftlichen Grabmälern markiert werden. [10] Ein markantes neueres Beispiel bilden Grabanlagen für Anhänger bestimmter Fußballvereine. Auf dem Hauptfriedhof Altona in Hamburg begann man 2007 mit der Anlage des stadionähnlich gestalteten „HSV-Friedhofs“: Drei „Tribünenrängen“ dienen der Aufnahme der einzelnen Gräber für Anhänger des Hamburger SV. Die Fläche, die mit Unterstützung des Vereines angelegt wurde, befindet sich direkt gegenüber dem HSV-Stadion. [11]

Die genannten Beispiele künden von einem allgemeinen Trend in der Grabstättenkultur: Bestimmte soziale Gruppen erhalten auf den Friedhöfen besondere Räume, die einer besonderen Gestaltung im Sinne einer „corporate identity“ unterliegen und in die das Einzelgrab integriert wird. Damit verlieren die traditionellen sozialen Institutionen (Familie, Nachbarschaft, Kirche) ihre Bedeutung für die Entwicklung der Bestattungskultur in der Postmoderne, neue, von größerer Wahlfreiheit geprägte Gruppierungen rücken tendenziell an ihre Stelle.



Quellen

[7] Caduff, Î’estattungsritual, 2000, S. 158 – 161.
[8] Ebd., 159.
[9] Ebd., 160 – 161 (Zitat S. 161).
[10] Bake, Garten der Frauen, 2006.
[11] Herzog, Vereinsfußball, 2011; ders., Trauer- und Bestattungsrituale, 2005.