4. Kapitel 3: Die Industrialisierung des Todes: Feuerbestattung und Krematoriumsbau

Der Schriftsteller Gottfried Keller schrieb im August 1873 in einem Brief: "Auch wird jetzt das Verbrennen der Leichen stark propagiert, und man spricht überall davon, sodass in etwa zehn Jahren wohl alle aufgeklärten Leute sich dieser antiken Bestattung unterziehen werden."i Keller hatte sich unter Einfluß des materialistischen Philosophen Ludwig Feuerbach der damals als ultramodern geltenden Feuerbestattung angenähert. Wenn auch seine zeitliche Prognose allzu optimistisch war, so besaßen Feuerbestattung und Krematoriumsbau im fortschrittsgläubigen Bürgertum des späten 19. Jahrhunderts doch große Attraktivität. Der Schriftsteller und 1848er-Revolutionär Gottfried Kinkel umschrieb diesen zukunftsgläubigen Optimismus auf dem ersten Europäischen Kongreß für Feuerbestattung in Dresden 1876 mit den Worten: "Diese Idee schläft nicht mehr ein; das Samenkorn, verschüttet, verliert seine Keimkraft nicht, sein Frühling kommt."ii Dennoch sollte es noch Jahrzehnte dauern, bis die Feuerbestattung eine allgemein anerkannte Bestattungsart war. Gottfried Keller übrigens hatte dabei mehr Glück als viele andere Feuerbestattungsanhänger unter seinen Zeitgenossen: 13 Monate vor seinem Tod, im Jahr 1889, wurde in seiner Heimatstadt Zürich ein Krematorium eingeweiht ...

Ihren Aufschwung nahm die Idee der modernen, technischen Feuerbestattung in den 1870er-Jahren. Sie läutete eine grundlegende Zäsur im Umgang mit dem Tod ein. iii Deutschland zählte im internationalen Vergleich zu den Pionieren der Feuerbestattung. Voller Optimismus hieß es in der ersten Ausgabe der "Flamme", einer monatlich erscheinenden "Zeitschrift zur Förderung der Feuerbestattung im In- und Auslande": "Die Freunde der Feuerbestattung wollen Niemanden in den Flammenofen nöthigen, aber wenn der Gedanke an die feuchte, kalte Erde und den langsamen Moder uns unerträglich und widerlich erscheinen, so fordern wir in der fakultativen Leichenverbrennung auch f ü r u n s [i. Orig. hervorgehoben] die Freiheit, und da man uns nie beweisen kann, dass unser Gefühl unmenschlich, die von uns erstrebte Form der Bestattung gemeinschädlich, unser Streben ungesetzlich ist, so stehen wir auf einem unerschütterlichen Rechtsboden."iv

Mit dem Bau der ersten Krematorien im Deutschland begann im Zeitalter der Industrialisierung eine durchgreifende Technisierung des Todes. Zunächst war die Feuerbestattung heftig umstritten, bahnte aber letztlich neuen, teilweise bis heute gültigen Formen der Bestattungs- und Trauerkultur ihren Weg. Das Krematorium vereinten erstmals wichtige Etappen von Aufbahrung, Trauer und Bestattung in einem einzigen Gebäude: Aufbahrungsort für Verstorbene, Ort der Trauerfeier und Ort der Einäscherung - mit seinen Kolumbarien (Nischenwänden für Urnen) manchmal sogar Beisetzungsort.

Die Leichenverbrennung an sich ist keine Erfindung des 19. Jahrhunderts. In vorchristlicher Zeit gehörte sie in Europa zu den üblichen Bestattungsarten (ebenso wie sie zur Tradition außereuropäischer Kulturen zählt). Das Christentum jedoch tabuisierte die Leichenverbrennung als "heidnisch". Erst im späten 18. Jahrhundert rückte sie wieder stärker ins gesellschaftliche Blickfeld. Vor dem Hintergrund von Aufklärung, Revolution und dem neuerwachten Interesse an antiker Kultur gab es Vorschläge, die Leichenverbrennung wieder einzuführen. Sie blieben jedoch ohne konkrete Folgen. 1849 hielt der Sprach- und Altertumsforscher Jacob Grimm einen Vortrag vor der Berliner Akademie der Wissenschaften, in dem er die ästhetischen Vorzüge der Feuerbestattung unterstrich.v

Erst die in der zweiten Jahrhunderthälfte immer manifester werdenden infrastrukturellen Probleme in den Städten verhalfen der modernen Feuerbestattung zum Durchbruch. Im Hintergrund stand ein Faktorenbündel aus städtischem Bevölkerungswachstum und Raumnot, steigender Sensibilität für hygienische Probleme, technischem Fortschritt und gesellschaftlicher Säkularisierung. Zugleich waren Feuerbestattung und Krematoriumsbau Ausdruck einer materialistischen Einstellung zum Tod, wie sie der bereits erwähnte Philosoph Ludwig Feuerbach folgendermaßen beschrieb: "Der Tod ist das Ende des Lebens, und eben damit auch das Ende, die Grenze unseres Denkens und Vorstellens. Auch die Unsterblichkeit, die uns die göttliche Offenbarung verspricht, ist nur eine Maske, hinter welcher der leidige Tod steckt." vi

Nicht zuletzt waren es Mediziner, die die Feuerbestattung als hygienische Alternative zum Erdgrab forcierten. Bereits Mitte der 1850er-Jahre hatte der preußische Militärarzt Johann Peter Trusen die Forderung nach Feuerbestattung mit einer grundlegenden Hygienekritik verknüpft.vii Weitere Vorstöße unternahmen in der Folgezeit unter anderem der Arzt und Medizinschriftsteller Hermann Richter (der einen der ersten modernen Verbrennungsapparate entwarf), der Anatom Carl Ernst Bock und der Leipziger Mediziner Carl Reclam. Letztere zählte zusammen mit seinem Dresdner Kollgen Friedrich Küchenmeister zu den wichtigsten Protagonisten der frühen Feuerbestattungsbewegung. Inhaltlich spielten neben dem Hygieneargument auch die Raumproblem eine zentrale Rolle. Industrialisierung, Landflucht und Rückgang der Sterblichkeit hatten zu einem enormen Bevölkerungszuwachs in den Städten geführt, was Alternativen in der Bestattungsfrage aktuell erschienen ließ.

Getragen von einer aufgeklärt-reformorientierten Minderheit aus dem protestantischen Bürgertum, entwickelte sich seit den 1870er-Jahren eine regelrechte Feuerbestattungs-Bewegung. Sie organisierte sich in Vereinen, die ersten von ihnen entstanden in Gotha, Dresden, Berlin, Hamburg und Frankfurt/M. Diese Vereine betrieben eine breitgefächerte Propaganda mit Vorträgen, Broschüren und Presseartikel. Wie erwähnt, wurden auch eigene Zeitschriften herausgegeben. 1886 schlossen sich die Feuerbestattungsvereine zum "Verband der Vereine deutscher Sprache für Reform des Bestattungswesens und facultative Feuerbestattung" zusammen. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg versammelten sich im Verband der Feuerbestattungsvereine deutscher Sprache 108 Vereine mit insgesamt knapp 50 000 Mitgliedern.viii

Die Feuerbestattungsbewegung ging hervor aus liberalen und sozialen Reformideen der Industrialisierungsepoche und dem wachsenden Interesse an naturwissenschaftlichen Fragen. Hinzu kam in bildungsbürgerlichen Kreisen ein idealistisch geprägtes Interesse an der Antike, das eine gelegentlich hymnische Begeisterung für die Leichenverbrennung einschloß. Es waren aber nicht allein idealistische Ziele, sondern auch konkrete berufliche Interessen, die die Feuerbestattungsbewegung prägten: Ärzte profitierten von der notwendigen Leichenschau, Architekten von der neuen Bauaufgabe Krematorium, Ingenieure von der erforderlichen Verbrennungstechnik. In Großbritannien waren die zeitgleichen Anfänge der Feuerbestattungsbewegung übrigens stark mit sozialistischen Vorstellungen verknüpftix - während es in Deutschland solche Verbindungen zumindest organisatorisch erst nach 1900 gab. Freidenkerische und freireligiöse Bewegungen hingegen unterstützten frühzeitig die Feuerbestattung - die Berliner Freireligiöse Gemeinde plante (wenngleich ergebnislos) ab 1890 gar den Bau einer eigenen Feuerbestattungsanlage und gründete 1904 eine Feuerbestattungskasse.x

Aber vor allem waren es die praktischen Probleme städtischen Bestattungswesens, die für den Durchbruch der Feuerbestattung sorgten. Der bereits erwähnte Dresdener Medizinalrat Friedrich Küchenmeister stellte die neue Bestattungsart in den Kontext einer modernen Hygienevorsorge. Drei Jahre vor Einweihung des ersten deutschen Krematoriums schrieb er 1875 zum Thema Bestattung und Epidemien (die Cholera war noch immer ein aktuelles Thema): "Wenden wir nun das hier Gesagte auf unsere Hauptfrage an, so ergiebt sich, dass Jeder, der den verunreinigten Untergrund Untergrund beim Gedeihen und der Entstehung der Gifkeime von Epidemien auf irgend eine Weise mitwirken, und die Gefährlichkeit der Epidemien dadurch sich mehren lässt, mag er nun an gasige oder feste Gifte glauben, dass weiter Jeder, der den Giftkeim für solche Epidemien in specifischen Giften ... sucht, damit übereinstimmen muss, dass eine radicale Zerstörung der Giftkeim, so wie der Giftkeimträger in kürzester Zeit am besten vor Epidemien schützt; und dass, weil die Feuerbestattung, zumal in Verbindung mit dem Verbrennen der Lagergegenstände und der event. mit Sägespäne aufgenommenen Ausscheidungen ansteckender Kranken, dies leistet: die Feuerbestattung unter allen zur Zeit ausführbaren Bestattungsformen die beste Sanitätspolizei des Bodens und der sicherste Cordon gegen Epidemie[n] ist."xi Fast zur gleichen Zeit hieß es in Eulenbergs "Handbuch des öffentlichen Gesundheitswesens: "Dass die Feuerbestattung aus hygienischen Rücksichten die grösste Verbreitung verdient, kann nicht bestritten werden."xii

Entschiedener Widerstand gegen Feuerbestattung und Krematoriumsbau kam von den Kirchen, vor allem von der katholischen. Die Kirchen verbanden mit der Feuerbestattung ein materialistisches Bild vom Menschen und sahen sie als unchristlich-pietätlosen Akt menschlicher Willkür, der darüber hinaus dem Glauben an die leibliche Auferstehung widersprach. Der altpreußische Evangelische Oberkirchenrat verbot 1885 die Beteiligung von Geistlichen an einer Feuerbestattung; andererseits jedoch zeigten einzelne protestantische Landeskirchen eine liberalere Haltung. Die römisch-katholische Kirche erließ 1886 ein Verbot der Feuerbestattung (das erst vom 1962 einberufenen Zweiten Vatikanischen Konzil aufgehoben wurde). Nicht zufällig war es beispielsweise in Mannheim die katholische Zentrums-Partei, die sich in den 1890er-Jahren politisch gegen die - von den Liberalen und Sozialdemokraten im übrigen befürwortete - städtische Förderung eines Krematoriums wandte.xiii

Die Kirchen hatten im Zeitalter der Technik und Wissenschaft zunehmend um ihre gesellschaftlichen Bastionen zu kämpfen - die Säkularisierung schritt voran. Im Bereich des Bestattungswesens war dies daran abzulesen, daß immer mehr Friedhöfe von den Kommunen betrieben wurden. So wird die Heftigkeit und Grundsätzlichkeit verständlich, mit der die Kirchen auch um Bereiche wie die Feuerbestattung kämpften (die ja fürs Erste nur eine geringe Minderheit der Bevölkerung betrafen).

Trotz allen Widerstandes: Das erste deutsche Krematorium ging Ende 1878 in Gotha in Betrieb - Heidelberg folgte 1891, Hamburg 1892. Im thüringischen Gotha hatte eine liberale Landesherrschaft frühzeitig die Einführung der modernen Feuerbestattung ermöglicht. In Hamburg hingegen wurden die gesetzlichen Bestimmungen zur Feuerbestattung erst nach langwierigen Streitigkeiten zwischen Bürgerschaft und Senat im Jahr 1892 erlassen - nicht zuletzt spielte hier die schwere Hamburger Cholera-Epidemie im gleichen Jahr eine erhebliche Rolle, weil sie die Sensibilität für hygienische Probleme schärfte. Auch mußte die Anlage hier, im Gegensatz zu Gotha und Heidelberg, auf einem Privatgrundstück nahe des Ohlsdorfer Friedhofs gebaut werden. In den anderen beiden Städten wurden die Krematorien auf den Friedhöfen selbst errichtet.

Der Widerstand der Kirchen erwies sich für die Feuerbestattungsvereine als problematisch, denn sie waren an einer hohen Auslastung der Krematorien interessiert, um die Einäscherungsgebühren niedrig zu halten. In den ersten Jahren der Feuerbestattung waren die Einäscherungszahlen durchaus bescheiden. Das Gothaer Krematorium zählte im fünften Jahr seines Bestehens (1883) insgesamt nur 46 Einäscherungen, darunter Verstorbene aus Berlin, Hamburg, Stettin, Krefeld und anderen weitab gelegenen Städten. Die Sozialstruktur dieser Eingeäscherten aus dem Jahr 1883 ist typisch für die Anhänger der Feuerbestattung: Fast alle waren evangelisch, unter den verzeichneten Berufen dominiert das Bildungsbürgertum.xiv Im Hamburger Krematoriums fanden im Jahr 1895 lediglich 41 Einäscherungen statt (1900: 147; 1910: 678).xv Immerhin: Deutschland war im europäischen Vergleich das führende Land: Im Zeitraum bis 1915 wurden hier knapp 80 000 Einäscherungen vollzogen, in Großbritannien dagegen nur rund 15 000.xvi

In der Öffentlichkeit fanden die Krematisten, wie sie damals hießen, beachtliche Resonanz. Vielgelesene Zeitschriften wie "Die Gartenlaube" berichteten über die Fortschritte der Feuerbestattung. Auch die zahlreichen kuriosen Vorschläge, die in diesem Zusammenhang immer wieder auftauchten, wurden gern veröffentlicht. Mitte 1887 druckte die "Illustrirte Zeitung" die Skizze eines transportablen Krematoriums ab. Die Forderung, einen solchen "Wagen-Feuerbestattungsapparat" einzuführen, wurde mit den hohen Hürden begründet, die die Leichentransporte zum damals noch einzigen deutschen Krematorium in Gotha für alle Nicht-Ortsansässigen bedeuteten. Auch satirische Blätter nahmen die Auseinandersetzungen um die Kremation, die regelrechte Stilblüten trieb, immer wieder gern aufs Korn. Beispielsweise zeigt eine Karikatur der Zeitschrift "Simplicissimus" vom März 1914 katholische Geistliche, die mit einer wasserspeienden Feuerwehrspritze eine Leichenverbrennung zu stoppen versuchen.

Die Feuerbestattung war im Kern rationalistisch und gestaltete das Bestattungswesen effizienter. Damit kann sie als reformerisches Element innerhalb der Geschichte der Bestattungskultur bezeichnet werden - sie bildet gleichsam die technisch-industrielle Variante eines neuerlichen Reformschubs, der ab dem späten 19. Jahrhundert überall in den industrialierten Ländern zu beobachten war.xvii

Auch im weiteren Sinn veränderte die Technisierung im späten 19. Jahrhundert den Umgang mit dem Tod. Sigfried Giedion sprach von der "Mechanisierung des Todes", die er am Beispiel des industrialisierten Tierschlachtens in den neu errichteten Zentralschlachthöfen beschrieb (zum Beispiel in Paris ab 1867, Hamburg 1892). Auch hier dominierte das Diktat der Effizienz: Die Mechanisierung des Schlachtens zielte auf eine möglichst rasche Umwandlung des lebenden Viehs zu Schlachtfleisch auf Basis einer Massenproduktion. Wie beim Krematoriumsbau und der Feuerbestattung, wurde die verfügbare Technik unter pragmatischen Gesichtspunkten eingesetzt.xviii Erneut unterlag auch die Praxis der Todesstrafe dem technischen Wandel: Im späten 19. Jahrhundert wurde in den USA der Elektrische Stuhl eingeführt, dessen Hinrichtungspraxis in der Zeit der Hochindustrialisierung als modern, kostengünstig und sauber galt - wie rund 100 Jahre zuvor die Guillotine. Im übrigen breitete sich auch die Verbrennungstechnologie nicht nur durch die Feuerbestattung aus. In einem zeitgenössischen Bericht über "Kori's Verbrennungs-Oefen", der 1901 in der "Deutschen Bauzeitung" erschien und von Abfallbeseitigung handelte, hieß es: "Außer in Krankenhäusern finden die Oefen Anwendung in Anatomien, Thierärztlichen Hochschulen, Schlacht- u. Viehhöfen, grossen in sich abgeschlossenen Anstalten, Markthallen usw., überhaupt überall dort, wo das System der Abfuhr, oder einer anderen Beiseiteschaffung durch das vom gesundheitlichen Standpunkt allein richtige der Verbrennung ersetzt werden soll."xix Mögen derartige Vergleiche auf den ersten Blick makaber klingen, so gehört doch die Feuerbestattung in diesen Kontext von Mechanisierung und Industrialisierung, der im späten 19. Jahrhundert so vieles veränderte.

Bei den Auseinandersetzungen um den Krematoriumsbau wurden immer wieder die praktischen Vorzüge in den Vordergrund gestellt. Im Rahmen der Diskussionen um das Mannheimer Krematorium Ende des 19. Jahrhunderts begrüßten die Politiker insbesondere die "außerordentliche Platzersparnis" an Friedhofsgelände durch die Aschenbeisetzung - zumal auch künftiges Bauland gefragt war. Sowohl in Mannheim, dessen Krematorium 1901 den Betrieb aufnahm, als auch in Heidelberg standen die Anlagen unter städtischer Regie. xx

Problematisch war die keineswegs einheitliche Rechtslage im Deutschen Reich: Jeder Teilstaat hatte seine eigenen Vorschriften - im wichtigsten, nämlich Preußen, wurde der Krematoriumsbau, ebenso übrigens in Bayern, erst kurz vor dem Ersten Weltkrieg gesetzlich genehmigt. Aus diesem Grund mußte das bereits fertiggestellte Krematorium im westfälischen Hagen vier Jahre lang auf seine Betriebserlaubnis warten, bevor 1911 die erste Einäscherung stattfinden konnte.

Ohnehin sorgte der Widerstand kirchlich-konservativer Kreise mit dafür, dass der als materialistisch und pietätlos attackierte technische Kern der Feuerbestattung architektonisch regelrecht verkleidet wurde. Technik und Trauerkultur schienen sich auszuschließen und mußten dennoch miteinander in Verbindung gebracht werden. Dieses grundsätzliche Problem der frühen Krematoriumsbauten, das zu schillernden, ja grotesken Ausdrucksformen führte, läßt sich anschaulich am Beispiel des ersten Hamburger Krematoriums aufschlüsseln. Errichtet nach Entwürfen des lokalen Architekten Ernst Paul Dorn, ist es in seiner Synthese barocker, romanischer und byzantinischer Elemente ein Beispiel für Formen des Späthistorismus. Symptomatisch ist, daß der Architekt des Krematoriums fast zur gleichen Zeit, um 1890, eine Maschinenhalle für eine Industrie- und Gewerbeausstellung errichtete, die als Musterbeispiel technischen Bauens galt. Im Kontrast zum feierlichen Ambiente der Trauerhalle stand die zweckgeformte technische Verbrennungsapparatur. Sie war das gravierendste Problem im frühen Krematoriumsbau und wurde im Untergeschoß geradezu versteckt, um die angestrebte feierliche Atmosphäre nicht zu konterkarieren. Über einen hydraulischen Aufzug wurde der technische Trakt mit der Trauerhalle verbunden.xxi

Es gibt zahlreiche weitere Beispiele, daß die Krematoriumsarchitektur in der Kaiserreich-Zeit die gesellschaftlichen Irritationen und Spannungen im Umgang mit dem Tod im allgemeinen und der technischen Feuerbestattung im besonderen widerspiegeln.xxii Die äußere Gestaltung der Krematorien Mainz (1903) und Heilbronn (1905) zeigt deutliche sakrale Elemente. Diese und ähnliche Paradoxien offenbarten sich auf recht kuriose Weise beim 1910 eingeweihten Krematorium Gera, das auf Betreiben des neun Jahre zuvor gegründeten örtlichen Feuerbestattungsvereins gebaut wurde.xxiii Errichtet auf dem städtischen Ostfriedhof als Jugendstil-Bau, zeigt es mit dem so genannten "Monistenloch" eine jener Kuriositäten, die dokumentieren, wie sehr diese frühen Krematorien im Spannungsfeld von Architektur, Kultur, Gesellschaft, Religion und Politik standen. Das "Monistenloch" ist Beispiel für die Konflikte zwischen Feuerbestattung und Kirche: Nach Streitigkeiten um die überkonfessionelle Nutzung veranlasste die Landeskirche im betreffenden Territorium, dem thüringischen Kleinfürstentum Reuß (jüngere Linie), dass für nicht-christliche Bestattungsfeiern ein separater Versenkungsschacht benutzt werden mußte, um den Sarg in den Einäscherungstrakt zu befördern. Die Bezeichnung "Monistenloch" geht auf den Umstand zurück, dass eine der führenden Persönlichkeiten des Geraer Feuerbestattungsvereines zugleich der örtliche Vorsitzende des Deutschen Monistenbundes war. Diese 1906 im benachbarten Jena ins Leben gerufene Vereinigung propagierten eine wissenschaftlich fundierte Welt- und Lebensanschauung. Einerseits institutionalisierter Beleg für die Säkularisierung von Alltag und Gesellschaft, gehörten solche und vergleichbare, zum Beispiel freidenkerische und lebensreformerische Vereinigungen zum typischen Umfeld der Feuerbestattungsbewegung. Wie dem auch sei: Das "Monistenloch" blieb bis nach dem Ersten Weltkrieg bestehen.

Wie Hamburg, so ist auch das Anfang 1910 offiziell in Betrieb genommene Krematorium in Leipzig ein Musterbeispiel für überbordenden Historismus - zugleich mit seiner dreiteiligen Kapellenanlage und der 800 Personen fassende Hauptkapelle eines der größten in Deutschland. Das auf dem Leipziger Südfriedhof in romanisierendem Stil errichtete, weit ausladende Bauwerk umfasste auf einer Fläche von rund einem Hektar neben dem den Feier- und technischen Räumen auch Gruftanlagen und eine Urnenhalle. Wie fast überall, war auch hier der Einäscherungstrakt im Untergeschoß angesiedelt. Typisch für die Ambivalenz, mit der man die Feuerbestattung nach wie betrachtete, ist folgende zeitgenössische Beschreibung der Gebäudetrakte: "Die Hauptkapelle und die Ostkapelle haben kirchlichen Schmuck erhalten, weil sie vornehmlich zu Bestattungsfeierlichkeiten für alle christlichen Konfessionen dienen sollen. In der Westkapelle ist jedoch jedweder Schmuck, welcher rein christliche Anschauungen wiedergibt, vermieden worden, weil sie für alle Nichtchristen und für jene, die keiner Religionsgemeinschaft angehören, bestimmt ist." xxiv

Häufig gab es dort, wo die Einrichtung von Krematorien geplant wurde, jahrelange polemische Auseinandersetzungen und politisches Tauziehen. In Freiburg/Breisgau zogen sich die Debatten im Stadtrat sechs Jahre lang hin - viele sahen in dem schließlich 1913/14 vollendeten Bauwerk einen regelrechten Angriff auf die katholische Kirche. Eine aus dem Jahr 1912 stammende "Idealansicht" des Freiburger Krematoriums zeigt das antikisierende Bauwerk inmitten eines Parks, der von hochaufragenden Koniferen und einer Wasseranlage geprägt wird. Diese Architekturskizze, die den Stadträten bei der Abstimmung vorlag, sollte die "Natürlichkeit" des vermeintlich grausamen Todes im Verbrennungsofen suggerierenxxv (daß nur kurze Zeit später angesichts des Massensterbens in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs jegliche Romantik versagen mußte, ist ein anderes Thema).

Die Assoziation mit freier Landschaft und Natur, die ja auch die Friedhofsästhetik des späten 19. Jahrhunderts prägte, schien jene Probleme zu mildern, die aus der vermeintlich pietätlosen Verbindung von Tod und Technik resultierten. Auch in einer Broschüre zum Dresdener Krematorium (1911) ging man zunächst - statt auf den eigentlichen Zweck - recht emphatisch auf die Einbettung des Gebäudes in die Landschaft ein: "Inmitten des Kiefernwaldes auf dem Gelände südlich des Johannisfriedhofes in Tolkewitz erhebt sich der eindrucksvolle Sandsteinbau der neuen Feuerbestattungsanstalt. ... Die Lage der Anstalt hat zwei besondere Schönheiten. den Eindruck des dichten, dunklen Kiefernwaldes und den Blick auf die freundlichen Ufer der Elbe. Beide sind mit dem Bau in Verbindung gebracht worden. Das Gebäude ist auf dem Gelände so weit zurückgestellt, dass eine lange, dunkelumsäumte Allee, die sich in einem schmalen Wasserbecken spiegelt, auf den Bau zuführt, während rückwärts ein kreuzgangartiger Urnenhof sich mit den Bögen seiner einen Seite auf die freundliche Landschaft öffnet." Das Dresdener Krematorium stand - wie andere Bauten seiner Art - einer Besichtigung durch Besuchergruppen offen.xxvi

Mit dem Bau weiterer Krematorien und der Zulassung der Feuerbestattung auch in den großen deutschen Teilstaaten Preußen und Bayern erhielt die Feuerbestattung noch vor dem Ersten Weltkrieg weiteren Aufschwung. Der endgültige Durchbruch kam in den 1920er-Jahren. Viele Krematorien wurden kommunalisiert (oder waren es bereits), die Gebühren gesenkt. Nun wurde die Feuerbestattung, abgesehen vom anhaltenden Widerstand des Katholizismus, zu einer gesellschaftlich allgemein akzeptierten Bestattungsart.

Ein herausragendes Beispiel dafür, wie sehr eine konsequent auf Einäscherungen zielende Politik die Bestattungskultur radikal änderte, bietet die Stadt Jena. Wie überall, gab es in den ersten Betriebsjahren des dortigen Krematoriums nur bescheidene Einäscherungszahlen - 1898 waren es beispielsweise 21 Verbrennungen, 1899 dann 46.xxvii Aber schon 1910 übertraf die Zahl der Einäscherungen erstmals die der Erdbestattungen. In den 20er-Jahren dann wurde die kostengünstige Feuerbestattung in Jena die mit Abstand häufigste Bestattungsart - in den einzelnen Jahren waren Anteile von 80-90% an den Gesamtbestattungen keine Seltenheit.xxviii Allerdings sind diese Zahlen nicht auf ganz Deutschland übertragbar. Noch 1932 lag der Anteil der Einäscherungen an der Gesamtzahl der Bestattungen bei 8,7%xxix - bei allerdings anhaltend steigender Tendenz.

Die wachsende quantitative Bedeutung der Feuerbestattung resultierte nicht zuletzt aus der positiven Einstellung der organisierten Arbeiterbewegung. Letztere befürwortete die kostengünstige Einäscherung geradezu programmatisch. Die Verbindungen zwischen Arbeiterbewegung und Feuerbestattung hatten sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts verstärkt: In der Zeit um und nach dem Ersten Weltkrieg wurden innerhalb der sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiterbewegung so genannte Feuerbestattungskassen gegründet. Sie ermöglichten ihren hunderttausenden Mitgliedern in den Zeiten von Wirtschaftskrisen und Inflation preiswerte Bestattungen. Der Volksfeuerbestattungsverein von Groß-Berlin, eine der größten Feuerbestattungskassen, zählte 1925 rund 600 000 Mitglieder. Auch die 1922 begründete, kommunistisch orientierte Gemeinschaft proletarischer Freidenker unterhielt lokale Feuerbestattungskassen.

Auch die Krematoriumsarchitektur veränderte sich - ohne allerdings ihr grundsätzliches Problem der Verbindung von Technik und Trauerkultur zu lösen. Nach wie vor schien der spannungsreiche Gegensatz zwischen Trauer und Technik unauflöslich. Architektonisch markierte das 1911 eröffnete Dresdener Krematorium des Reformarchitekten Fritz Schumacher eine Zäsur. Schumacher versuchte, mit einem monumental-kompakten Baukörper die Mehrdeutigkeit historistischer Varianten hinter sich zu lassen. Er zielte darauf, die Architektur an der Funktion auszurichten. In seinen Lebenserinnerungen schrieb der Architekt rückblickend über diese Bauaufgabe: "Alle antikisierenden Bauten rangen in oft höchst merkwürdiger Weise mit dem Problem des Schornsteins; sie zeigten sämtlich, dass der Architekt von seiner Feierhalle ausgegangen war und die technischen Bedürfnisse, so gut es gerade ging, in verschämter Weise damit in Verbindung gebracht hatte. Mir wurde klar, daß man zu einer wirklichen Lösung des neuen Bauproblems nur kommen konnte, wenn man ungekehrt von den technischen Bedürfnissen ausging und die Form der Feierhalle ihren Zwängen anpasste."xxx Bezeichnend für die Geschichte des Krematoriumsbaus ist jedoch, dass auch in Dresden die Feierräume vom Einäscherungsapparat strikt getrennt blieben. Dies galt auch für Schumachers zweiten Krematoriumsbaum, dem neuen Hamburger Krematorium auf dem Ohlsdorfer Friedhof (1928-33). Der von den Nationalsozialisten 1933 zum Ausscheiden aus seinem Amt als Hamburger Oberbaudirektor gezwungene Architekt vertrat diese Trennung in seinem "Handbuch der Feuerbestattung" ausdrücklich.xxxi So war der Einsatz hochmoderner Technik im Bestattungswesen zwischen den beiden Weltkriegen zwar gesellschaftlich akzeptiert, aber der eigentliche Verbrennungsvorgang blieb nach wie geradezu heimlich, der technische Trakt ein gesellschaftlich tabuisierter, ausgegrenzter Ort. Industrielle Technik und Tod schienen weiterhin nicht zusammenzupassen.xxxii

Diese Ausgrenzung der Technik erwies sich jedoch ein problematisches Konzept. Sie war Ausdruck einer unverarbeiteten technischen Rationalität. Dies verselbständigte sich spätestens dann auf brutal-inhumane Weise, als die Nationalsozialisten Krematorien in ihren Konzentrations- und Vernichtungslagern einsetzten, um die Massenvernichtung technisch zu perfektionieren. Eine im Zuge der Industrialisierung als fortschrittlich eingeführte neue Bestattungstechnologie wurde unter den Bedingungen der Diktatur zum Instrument des Terrors - was im folgenden Kapitel noch ausführlicher zu erläutern sein wird.

Zuvor noch einmal zurück ins späte 19. Jahrhundert: Die Einführung der Feuerbestattung veränderte auch die Beisetzungsformen. Bei der Aschenbeisetzung unterschied man zwischen ober- und unterirdischen Formen. Erstere geschah auf dem Friedhof oder in Kolumbarien (Urnenwänden). Diese Kolumbarien waren entweder den Krematorien ein- oder zumindest angegliedert oder als eigenständige Urnenhallen errichtet - letzteres, solange vor Ort kein Krematorium vorhanden war. Spätestens zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewann die Aschenbeisetzung auf den regulären Friedhöfen - oder auf besonderen Urnenfriedhöfen - immer mehr an Bedeutung.xxxiii

Die Planung von Urnenhainen orientierte sich in der Regel an der vorherrschenden zeitgenössischen Friedhofsästhetik. So wurde der 1904 eingerichtete Urnenfriedhof am ersten Hamburger Krematorium im landschaftlichen Stil entworfen - das Vorbild des benachbarten Ohlsdorfer Friedhofs vor Augen. Erst als die Feuerbestattung nach dem Ersten Weltkrieg ein quantitativ immer größeres Gewicht gewann, spielten die Urnenhainen sie bei der allgemeinen Friedhofsplanung eine wichtige Rolle und wurde hier zu einem eigenständigen Aufgabengebiet. Angesichts des geringeren Platzbedarfes fielen die Entwürfe auch kleinteiliger als bei Erdgräbern aus. Vorherrschende Grabmalformen waren - in jeweils kleinerer Dimension als bei Erdgräbern - liegende Platten, Stelen oder Pfeiler (letztere häufig auch als Markierungspunkte an Wegrändern oder -kreuzungen).xxxiv

Mit ihrem geringen Platzbedarf fügte sich die Aschenbeisetzung hervorragend in die im vorigen Kapitel beschriebene Friedhofs- und Grabmalreform ein. Mehr noch als die größeren Erdgräber erlaubten die Aschengräber jene strenge Homogenität, die von den Reformern gewünscht wurde und bis hin zur Serialisierung der Grabstätten reichte. Die einst romantisch geprägten Urnenhaine wurden zu Gunsten funktional-geometrisch gestalteter Aschengärten mit streng reglementierter Formensprache aufgegeben.xxxv Auf dem Friedhof des Dresdener Krematoriums beispielsweise entstanden lang gezogene Urnenmauern mit standardisierten Aschenreihengräbern. Ein 1927 erschienenes Handbuch der Friedhofsgärtnerei widmet der Aschenbeisetzung breiten Raum und schlägt bei der Bepflanzung einen deutlich reduzierten Aufwand oder gar ein zusammenhängendes "Aschenbeet" vor.xxxvi Dies sollte später seine Zuspitzung in der anonymen Rasenbestattung finden, auf die im letzten Kapitel noch ausführlicher eingegangen wird.

Die Feuerbestattung gewann im weiteren Verlauf des 20. Jahrhundert immer mehr Bedeutung und erreichte Ende der 1990er-Jahre in einzelnen Städten, vor allem in den östlichen und nördlichen Bundesländern, häufig Anteile von weit über 50% an den Gesamtbestattungen (stellenweise um 90%). Im Durchschnitt lag der Anteil der Feuerbestattungen in Deutschland Ende des 20. Jahrhunderts bei knapp 40%. Bis heute gibt es in der Verbreitung der Feuerbestattung bedeutende regionale Unterschiede. So betrug der Anteil der Einäscherungen an den Gesamtbestattungen 1995 in Braunschweig 71,1%, in Augsburg aber nur 26,4% und Regensburg 30,9%. Sehr hohe Anteile die Orte jener Region, wo es einst mit der Feuerbestattung begann, in Thüringen nämlich: Gotha 90,6 % (dort wurde 1878 das erste deutsche Krematorium errichtet), Jena 90,8%, Eisenach 89,7%, Gera 95,8%. Auch sonst liegen die Städte der ehemaligen DDR deutlich über dem Durchschnitt, denn der Staatssozialismus hatte die Feuerbestattung gefördert. Auch ist in Städten die Einäscherung verbreiteter als auf dem flachen Land. Umgekehrt sind es nicht nur, aber doch in erster Linie katholische Regionen, die bis heute relativ niedrige Einäscherungsquoten aufweisen.xxxvii

Der Krematoriumsbau war nach NS-Diktatur und Zweitem Weltkrieg lange Zeit kein Thema öffentlicher, gar kritischer Diskurse. Die meisten Krematoriumsbauten waren ambitionslos und gaben nur wenig architektonische Fingerzeige auf ihre eigentliche Funktion. Hier galt immer noch, was der rumänische Schriftsteller Tudor Arghezi bereits in den 1920er-Jahren sarkastisch über die Unentschiedenheit moderner Krematoriumsarchitektur geschrieben hatte: "Der Ort, an dem die Leichenverbrennung vollzogen wird, ist ein Tempel ohne Glaubensbekenntnis. Er hat seine Ästhetik von den Bahnhöfen, Straßenlaternen, von den Petroleumdepots, ein bisschen auch vom Stieltopf und von der Essigkanne bezogen .... Wenn er beim Altstoffhandel verkauft wird, kann er zerlegt, demontiert und an einem anderen Platz zu verschiedenen Zwecken neu installiert werden."xxxviii

Erst Ende des 20. Jahrhundert begann wieder eine öffentliche Diskussion über Feuerbestattung und Krematoriumsbau. Im Jahr 1999 wurde ein ambitionitierter, in der Öffentlichkeit stark beachteteter Krematoriumsbau eingeweiht: das von Axel Schultes/Charlotte Frank entworfene Krematorium Berlin-Baumschulenweg mit seiner monumentalen, elf Meter hohen Säulenhalle als Zentralraum. Insbesondere die "archaisch wirkende Großform" des Berliner Krematoriums erinnert an Fritz Schumachers feierliche Monumentalität.xxxix

Das Krematorium Berlin-Baumschulenweg galt bei seiner Eröffnung als modernste Einäscherungsanlage Europas. Diese technische Modernität drückt sich unter anderem in den computergesteuerten maschinellen Abläufen aus, die auf eine Kapazität von über 600 Särgen ausgerichtet sind. Diese Särge werden nicht mehr von Menschenhand, sondern von Robotern bewegt.xl

Aber: Wie schon in der Frühzeit der Feuerbestattung wird auch hier die Technik ins Untergeschoß verbannt. Der ultramodernen Technik steht ein traditionell ausgerichtetes Konzept für den Ablauf der Trauerfeiern gegenüber. Umgekehrt wurde das Interieur der zentralen Säulenhalle symbolisch aufgeladen: Sand an den Schwellen unterhalb der Wände verweist auf Vergänglichkeit, umgekehrt deutet ein über einer Wasserfläche schwebend aufgehängtes Ei im Zentrum der Halle auf Ewigkeit oder auch Wiedergeburt. Wie die Unbestimmtheit des symbolischen Programms zeigt, wird die Auseinandersetzung mit dem technisierten Tod noch immer verdrängt. Es bleibt bei dem Versuch, den eigentlichen Zweck des Gebäudes architektonisch zu eskamotieren, Technik und Trauer räumlich voneinander zu trennen.

Eine andere weit reichende Entwicklung bei der Feuerbestattung ist die in den 1990er Jahren eingeläutete Privatisierung von Krematorien. Das erste rein private Krematorium in Deutschland, also ohne städtische Beteiligung, wurde im September 1997 im rheinland-pfälzischen Landau in Betrieb genommen.xli Ein immer wieder zitiertes Vorbild für derartige Umbrüche bilden die Niederlande, wo der Anteil der Kremationen an den Gesamtbestattungen mit über 50% deutlich höher als in Deutschland ist. Die privaten und kommunalen Krematorien bieten eine wesentlich breitere Palette an Dienstleistungen für Trauerfeier und Beisetzung. Der Einäscherung kann man direkt beiwohnen, die Asche kann auch - jenseits des Friedhofs - privat verwahrt werden. Wir werden im fünften und letzten Kapitel noch sehen, wie sehr die Umbrüche in der Bestattungskultur zu Beginn des 21. Jahrhundert wiederum mit Feuerbestattung und Aschenbeisetzung verknüpft sind ...

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