6. Resümée: Bestattungs- und Erinnerungskultur in der Postmoderne

Stichwortartig zusammengefasst, zeigen sich also in der Sepulkralkultur im frühen 21. Jahrhundert folgende Entwicklungen:
– allgemeine Grenzauflösungen und neue räumliche Strukturen,
– Verlust der abgegrenzten Einzel- und Familiengrabstätte als Ordnungsmuster,
– Miniaturlandschaften als neue Orte der Trauer- und Erinnerungskultur,
– Naturbestattungen in der freien Landschaft (Wald, Meer, alpiner Raum),
Insgesamt lässt sich von einer gesellschaftlich, kulturell und räumlich determinierten Partikularisierung der Sepulkralkultur sprechen.

Diese Partikularisierung zeigt sich in zweifacher Grenzauflösung: die der Binnenstruktur des Friedhofes durch die tendenzielle Aufgabe der Einzel- und Familiengrabstätte einerseits und die des klassischen Friedhofs als alleiniger Ort der Bestattung andererseits. Der in der bürgerlichen Industriemoderne ausgeprägten räumlichen Abgrenzung und Ausschließung, die sich im Sepulkralen in dem vor die Tore der Stadt verlegten Friedhof wiederfindet, setzen die neuen Bestattungs- und Erinnerungsorte eine Verknüpfung mit den Räumen der Lebenden entgegen. Die hervorhebenswerten, weil auch quantitativ immer bedeutsameren Beispiele beziehen sich insbesondere auf die Naturlandschaft: Bäume und Wälder, Berge, Meeresküsten. Daher zählen die neuen Bestattungsorte in der Natur nicht mehr zu jenem ausgegrenzten „Fremden“, das der klassische Friedhof immer bedeutete und das Andrea Gerhardt wie folgt definierte: „Doch obwohl wir heute ´wissen´, dass die Toten auch wirklich tot sind, ist der Friedhofsbesuch für manche Menschen noch immer mit einem unangenehmen Gefühl verbunden; ein störender, irrationaler Rest von Unwohlsein, der sich nicht ´wegrationalisieren´ lässt.“ [27]

Stattdessen reihen sich die neuen Orte der Bestattungs- und Erinnerungskultur in die „Verflüssigung“ der postmodernen Lebenwelten ein. Nicht zuletzt zählen dabei die Eroberung des öffentlichen Raumes und der freien Naturlandschaft zu den markantesten und wegweisenden Phänomenen für den neuen Umgang mit Tod und Trauer. Es geht hier um die sinnhaft-symbolische Aneignung von Orten, Räumen und Landschaften durch Artefakte der Erinnerung, um das immer wieder neue Entwerfen von Gedächtnislandschaften. Denn Erinnerung und Gedächtnis bleiben ohne gesellschaftliche Relevanz, wenn sie nicht auch vermittelt werden. Diese Rolle als Vermittlungsinstanz spielen im frühen 20. Jahrhundert vor allem Natur und Landschaft – letztlich auch und immer mehr auf dem klassischen Friedhof. Häufig miniaturisiert und modelliert, werden Natur und Landschaft damit zum Medium eines gesellschaftlichen Gedächtnisses im frühen 21. Jahrhundert.



Quellen

[27] S. Rüter, Friedwald. Waldbewusstsein und Bestattungskultur, Münster 2011; S. Assig, Waldesruh statt Gottesacker. Der Friedwald als neues Bestattungskonzept, Stuttgart 2007.