3. Tod, Denkmal und Landschaft in der Kunst

Die ästhetische Gestaltung der Friedhöfe als regelrechte "Gedächtnislandschaften" war also im Verlauf des 19. Jahrhunderts in Mode gekommen. Auf diesem Weg reihten sich die Friedhöfe - neben Parks und Promenaden - in jene repräsentativen Orte ein, die sich das städtische Bürgertum im 19. Jahrhundert schuf. Friedhöfe wurden zum Ort des Spazierganges, auf denen sich Bürgerlichkeit in romantischer Naturästhetik äußerte. Natur und Landschaft waren im Bürgertum zu einem gesellschaftlichen Fluchtraum geworden. Das neue "Kleid" der Friedhöfe entsprach dem Bild eines von seinen Schrecken befreiten, sublimierten Todes - und es entsprach dem Wunsch, in gleichsam elegischen Gefilden dem Gedächtniskult des späten 19. Jahrhunderts zu frönen (wir kommen gleich darauf zurück).

Im Auge des Betrachters erschien der Ohlsdorfer Friedhof als ein landschaftlich "gezeichnetes" Gesamtkunstwerk. Nicht umsonst war Ohlsdorf fast zeitgleich mit Arnold Böcklins populärem Gemälde "Toteninsel", entstanden. Böcklins "Toteninsel" war ja seinerseits als "Landschafts-Denkmal" konzipiert worden. Dies zeigt, dass es zwischen Landschaftsmalerei und Friedhofsästhetik aufschlussreiche Wechselwirkungen gab. Im 19. Jahrhundert wurde der Tod bei Romantikern wie Caspar David Friedrich und Carl Gustav Carus gern und häufig thematisiert. Der ebenfalls zum Dresdener Kreis um Friedrich und Carus zählende Johan Christian Dahl visualisierte das Thema auf unnachahmliche Weise in seinem 1820 entstandenen Gemälde "Grab am Meer".

Bei Arnold Böcklin schließlich wurden über 60 Jahre später die Orte von Tod, Trauer und Gedächtnis symbolisch überhöht und metaphorisch aufgeladen, eingebettet in romantische, zuweilen mystische Landschaften. Dies gilt vor allem für die "Toteninsel" mit ihrer Ruinenlandschaft. Dieses Gemälde ist hier von besonderem Interesse, weil es unser Thema "Orte des Gedächtnisses" auf wunderbare Weise zusammenfasst.

Schauen wir also noch ein wenig genauer hin. Was stellt das Werk dar, von dem Böcklin zwischen 1880 und 1886 insgesamt fünf Versionen anfertigte (von denen vier erhalten blieben)-: "Alle Versionen zeigen ... den Blick auf eine sich im stillen, dunklen Meer steil erhebende, mit dunklen Zypressen bestandene Felsformation. Sie weist spärliche Zeichen menschlicher Eingriffe auf, türartig gerahmte Felsöffnungen, helle Mauern. Auf der Insel selbst sind keine Lebewesen zu sehen, doch fällt der Blick sogleich auf ein Boot, das sich auf die dunkle Felsenbucht in der Bildmitte zu bewegt. Der Kahn wird von einem einmal stehenden, einmal sitzenden Diener gerudert. Darin steht eine weiß verhüllte Gestalt vor einem Sarg ..."

In der Kunstgeschichte herrscht allgemeiner Konsens, dass Böcklins "Toteninsel" zu jenen Gemälden gehört, die das "Lebensgefühl des 19. Jahrhunderts in besonderer Weise zum Ausdruck bringen". Dies beruht auf jener epochentypischen Verflechtung von Landschaftsimagination und Tod, die dem Gedächtniskult des späten 19. Jahrhunderts auf besondere Weise Rechnung trug.

Böcklin kombinierte ikonografische Elemente der klassischen Mythologie mit typischen Topoi neuzeitlicher Landschaftsästhetik (Wasser, Insel, Felsen). Böcklins Interesse an antiken Sakrallandschaften ist belegt. Auf letztere verweisen die Exedra-Form der Felsen wie auch die Durchbrechung des Felsenmassivs durch rechtwinklige Grabkammern. Der Baumhain zeigt Zypressen, die seit der Antike als Bäume des Todes gelten. Die Reise ins Jenseits wird bei Böcklin - ganz im Stil des "sanften Todes" - zum stillen und friedlichen Übergang, die Felslandschaft zeigt sich als Gedenkstätte für die Ewigkeit.

Eindeutig verwarf Böcklin dabei die Traditionen der christlichen Todes- und Vergänglichkeits-Ikonographie. Auch die Verortung der Grabstätte auf einer Insel erweist sich bei näherem Betrachten als gezielte Anknüpfung an die römische, das heißt nicht-christliche Tradition der Bestattung außerhalb der Siedlungen. Umgekehrt gesagt, war es eine bewusste Negation christlicher Kirchhofsbestattungen - gerade damit wurde die "Toteninsel" zu einem neuartigen Ort des Gedächtnisses.

Der Topos der Insel - als Toteninsel eingebettet in arkadische Landschaften - war im bürgerlichen Zeitalter bekannt und beliebt als Ort von Trauer und Gedächtnis. Jean-Jacques Rousseaus Inselgrab im Park zu Ermenonville (1776/78) wurde zu einer vielbesuchten Pilgerstätte des gebildeten Bürgertums und fand etliche Nachahmer. Fürst von Pückler-Muskau ließ sich knapp 100 Jahre später einen Grabhügel in Pyramidenform auf dem See seines berühmten Branitzer Parks bei Cottbus erschaffen. Und erst recht zählten Wasser und Insel auf den großstädtischen Parkfriedhöfen des 19. Jahrhunderts, wie wir am Beispiel Ohlsdorf sahen, zu den beliebtesten gartenkünstlerischen Elementen.

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