Norbert Fischer: Zwischen Technik und Trauer. Berlin 2002.

Kapitel 2
Die frühen Krematoriumsbauten: Planung, Technik und Architektur


4. Die Krematoriumsanlage in Halle (Saale)

Aber die Reformentwürfe für Hagen und Dresden blieben bis zum Ersten Weltkrieg Ausnahmen. Normalerweise bemühte man sich um eine repräsentativ-feierliche Gestaltung - nicht selten in klassizistischer Formensprache. Dies gilt beispielsweise für den Bau des Krematoriums auf dem Gertraudenfriedhof in Halle (Saale). Dort stellte sich zunächst dasselbe Problem wie in Hagen, was die gesetzliche Zulassung des Krematoriumsbetriebs anbelangte.

Am 7. November 1900 war in Halle auf Initiative des Stadtrates Friedrich Tepelmann ein Feuerbestattungsverein gegründet worden. Der Verein spiegelte in seiner sozialen Struktur die Zusammensetzung der frühen Feuerbestattungsbewegung wieder: Er versammelte vor allem Angehörige des Bildungsbürgertums und zählte in seinen besten Zeiten bis zu 500 Mitglieder. Sein Ziel war zunächst, für die Idee der Feuerbestattung zu werben, um deren gesetzliche Einführung in Preußen zu fördern. Dies geschah unter anderem durch Vorträge und Ausstellungen.

Als kurz vor dem Ersten Weltkrieg der städtische Gertraudenfriedhof angelegt wurde, plante man zusammen mit dem Begräbnisplatz auch ein Krematorium. Begünstigt wurde die nach der ja 1911 erfolgten gesetzlichen Regelung der Feuerbestattung in Preußen beschleunigte Entwicklung dadurch, dass einige Stadträte dem Vorstand des Feuerbestattungsvereines angehörten. Im Übrigen hatte auch der Hallesche Oberbürgermeister Richard Rive in seiner Eigenschaft als Mitglied des preußischen Herrenhauses (erste Kammer des Landtages) selbst mit zur Verabschiedung des preußischen Feuerbestattungsgesetzes beigetragen. So verwundert es nicht, dass das Krematoriumsprojekt von den Halleschen Stadtverordneten Anfang 1912 einstimmig gebilligt wurde. Das dann parallel zur Anlage des Friedhofs (1913-1915) errichtete Krematorium konnte nach rund 27monatiger Bauzeit im Dezember 1915 in Betrieb genommen werden.

Die Anlage geht auf Entwürfe des Stadtbaurats Wilhelm Jost zurück. Vom Neoklassizismus, aber auch romanischen Stilelementen geprägt, umfasst es unter anderem eine kleine und eine große Trauerhalle (Kapelle) für Feuer- und Erdbestattungen. Die blockartig-monumental aufragende, in der Fassade durch Rundbögen gegliederte Kapelle bildet das Zentrum des Krematoriumbaues. Sie wird von einem gewölbten Walmdach abgeschlossen. Seitlich flankiert wird die große Kapelle von zwei langgestreckten Querbauten mit Satteldächern. Die technischen Anlagen befanden sich unterhalb des rückseitig an die Trauerhalle anschließenden Leichenzellentraktes und waren, wie üblich, über Versenkungsanlagen erreichbar.

Besonders hervorzuheben ist die Einbettung dieser sich "durch Weiträumigkeit und Strenge auszeichnenden halleschen Anlage" in die umgebende, gleichzeitig gestaltete Friedhofslandschaft: "Über eine breite, von Rampen flankierte Freitreppe erreicht man den Vorhof des auf etwa zwei Meter hoher Terrasse errichteten Bauwerks. Von hier aus ergibt sich ein ... Blick über die Wasserfläche hinweg in die Weite der Landschaft."

Von besonderem Interesse ist das Ambiente der Innenräume. Während die kleine Trauerhalle und die Nebenräume eher schlicht gehalten sind, erinnert die Monumentalität der großen Kapelle - als zentraler Trauerhalle - an den antiken Kuppelbau des römischen Pantheons: "Als Rundbau ein Abbild des Kosmos, war dieser Tempel allen Göttern geweiht, was später auch der von Anhängern der Feuerbestattung vertretenen Toleranzidee entgegengekommen sein dürfte. Typisch ist weiterhin die für die Gliederung des Bauwerks wichtige Zahl Acht, die ... mehrfach wiederkehrt."

Bemerkenswert ist die Gestaltung der Innenkuppel mit Fresken durch den ortsansässigen Maler Karl Völkers (der später zu den herausragenden Persönlichkeiten der "Hallischen Künstlergruppe" gehörte). Beschriftet mit Bibelworten, zeigt die Kuppel einen Kranz von Engeln - hier also deutliche Bezüge zur christlichen Tradition. Die Kuppel ist in leuchtendem Blau gehalten: "Vielfach mit der Hinwendung zu frühchristlicher und byzantinischer Kunst verbunden - lässt es aber auch bei Völker - ebenso wie der Kranz der sechzehn Engel zwischen den Rundbogenfenstern - an ravennatische Mosaiken denken."

Die Engel stellen durch Haltung und Gestik die Verbindung zu den Trauernden wie auch zum zentralen Kuppelfeld her: "Von Flammen umkreist, hält dort ein ebenfalls geflügelter Genius eine Schale empor, die, gleichsam brennpunktartig, gebündeltes Licht aussendet. Durch eine sogartige Aufwärtsbewegung nähern sich die Leiber der Toten, unter ihnen ein Gekreuzigter, dieser Heroengestalt, um mit dem reinigenden Feuermeer zu verschmelzen." Christliche und überkonfessionelle Elemente gehen also eine Symbiose ein.

Das Kolumbarium zur Aufstellung von Urnen wurde - im Gegensatz zu vielen anderen Beispielen - gesondert errichtet, jedoch der vom Krematorium aus verlaufenden Hauptachse zugeordnet. Die rechteckig-offene Anlage wurde ebenfalls von Stadtbaurat Jost entworfen. Im unteren Teil der durch Rundbögen gegliederten Ummauerung befinden sich Nischen zur Aufstellung von Urnen. Auch das Kolumbarium ist in die umgebende Friedhofslandschaft - unter anderem mit dem nöÄrdlich anschließenden Wasserbassin - harmonisch eingefügt.

1991-1993 wurde auf dem Krematoriumsgelände eine neue Einäscherungsanlage errichtet. Dies ging auf die Initiative des 1990 neugegründeten "Gemeinnützigen Feuerbestattungsvereines e.V. Halle (Saale)" zurück, der von der Stadt Halle beauftragt wurde, als Pächter den Einäscherungsbetrieb durchzuführen. Neben den technischen Erneuerungen hat sich der Verein auch beim Erhalt der denkmalgeschützten älteren Bauten engagiert.

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